Pokémon ist für Videospielverhältnisse ein steinaltes Franchise. 1996 erschienen mit Rot und Blau die ersten Editionen, mit Karmesin und Purpur wurde vor kurzem die neunte Generation der Reihe angekündigt. Trotz technologischer Fortschritte wünschen sich viele Fans die Pixelgrafik älterer Editionen zurück. Manche sogar so sehr, dass sie angefangen haben, den Spielen neues Leben einzuhauchen. Pokémon Redrawn nennt sich das Projekt von über 100 unabhängigen Künstler*innen, die es sich zum Ziel gemacht haben, vergangene Generationen der Taschenmonster nachzuzeichnen. Mit dem Unterschied, dass die Welten sehr viel detailreicher daherkommen, als es ein Game Boy im Jahr 1996 je hätte abbilden können.
"Der Pixel-Look hat einfach eine andere Ästhetik", sagt der Frankfurter Künstler Tom Baumann, auch bekannt als "Toaster". Er hat die Route 4 aus Kanto, der Spielwelt von Pokémon Rot und Blau, in über 100 Stunden Arbeit nachgezeichnet. "An Route 4 gefiel mir direkt, dass sie abwechslungsreicher als viele andere war: Wasser, Wiesen, Bäume, Berge und ein Höhleneingang, alles auf einer Route. Da konnte ich mich gut austoben", erinnert er sich.
Pokémon Redrawn organisiert sich über Discord. Künstler*innen aus aller Welt vernetzen sich dort und koordinieren mittels Trello, wer gerade welchen Teil der Map zeichnet und wie fortgeschritten er oder sie bereits ist. "Auf Trello können sich interessierte Künstler*innen für eine Map melden. Es hilft uns unheimlich dabei, die Übersicht zu behalten", resümiert die Künstlerin Anett, die auf Twitter unter ihrem Handle foofarawr bekannt ist.
2020 legt die Redrawn-Initiatorin mit ihrer Version des See des Zorns den Grundstein für das Projekt. Inspiration für den Projektstart holte sie sich von den späteren Mitstreitern Zaebucca und Pkmn-Edelweiss. "Zaebucca hatte mich, kurz nachdem ich den Tweet gepostet hatte, kontaktiert, ob wir nicht ein Projekt daraus machen wollen", erinnert sich Anett.
Zu Beginn von Kanto Redrawn, dem ersten Etappenziel von Pokémon Redrawn, sei alles noch recht chaotisch gewesen. Mit der Zeit arbeiteten die Initiator*innen eine Struktur heraus, positives Feedback seitens der Community gab es schon von Anfang an.
Seit der Veröffentlichung der Editionen X und Y für den Nintendo 3DS, mit denen das Entwicklungsstudio Game Freak von Pixel-2D zu 3D-Grafik wechselte, kritisieren langjährige Fans, dass die Pokémon-Editionen Jahr für Jahr schlechter würden. Der Twitter-Nutzer Jirachibi schreibt: "Generation 5 war die letzte gute. 6 war noch okay, 7 war schlecht, 8 war nicht auszuhalten und 9 ist auch auf dem Weg dorthin."
Dem finanziellen Erfolg der Spielereihe hat der Grafikwechsel nicht geschadet: Die Nintendo-Switch-Editionen Pokémon Schwert und Schild (die achte Generation) haben sich laut Nintendo über 24 Millionen Mal verkauft. Das ist zwar noch ein gutes Stück vom Bestseller-Rekord der ersten Generation entfernt (über 30 Millionen Einheiten), spricht aber dennoch gegen das Argument, die neueren Pokémon-Spiele seien ein Flop. Zumindest auf dem Papier.