Japans Indie-Szene steht an einem Wendepunkt

Wer in Japan explizit nach Indie-Spielen fragt, erntet vermutlich erst mal einen fragenden Blick. Im Westen startet die Durchkommerzialisierung des Indie-Sektors spätestens 2008 mit Braid. In Japan gibt es stattdessen doujin soft, frei übersetzt Spiele, die von Hobby-Entwickler*innen kostenlos zirkuliert werden. Indie als alternative Möglichkeit zur eigenständigen Produktion und autonomen Veröffentlichung ist in Japan ein junges Konzept. Viele Entwickler*innen verbinden damit nicht mal ein mögliches Sprungbrett in die Videospielindustrie.

"Entwickler*innen kennen den Weg zum Indie-Game meist nicht – als Spieleentwickler*in in Japan beginnt man klassischerweise nach dem Studium in einer der großen Videospielfirmen zu arbeiten. Indie-Games sind daher keine Option", sagt Takaagi Ichijo, Indie-Game Entwickler und Community Manager für asobu, einem Community-Hub für Indie-Games in Shibuya, Tokio. "Ich sorge mich um den Nachwuchs in Japan."

Sorge um die Zukunft und Unwissenheit sind ein treibende Faktoren für das Team von asobu, das 2019 gegründet wurde und sich als Brücke zwischen Indie-Entwickler*innen, Publishern, aber auch Medien sieht.

Der globale Anspruch von Indie-Games und lokale Hürden

Eines der größten Probleme, vor denen Indie-Entwickler*innen in Japan stehen, sind die fehlenden finanziellen Mittel, um ihre Projekte umzusetzen. Auf internationales Crowdfunding können sie dafür nur begrenzt zurückgreifen. Plattformen wie Kickstarter, auf denen Projekte vorfinanziert werden können, bringen finanzielle Sicherheit für Entwickler*innen, geben ihnen aber auch die Möglichkeit eine Idee zu bewerben, Interesse zu wecken und eine Community aufzubauen.

Allerdings findet der Austausch auf Kickstarter hauptsächlich auf Englisch statt. Laut einer Umfrage innerhalb der asobu-Community aus dem Jahr 2022 mit knapp 70 Teilnehmenden waren nur die Hälfte der Spieleentwickler*innen der Sprache mächtig. Eine Vorfinanzierung gibt es daher oft nicht – eine immense Hürde für viele Entwickler*innen.

Auf eine mögliche Unterstützung durch die Regierung können japanische Entwickler*innen ebensowenig hoffen. Anders als etwa in Deutschland, wo es seit 2019 eine Games-Förderung seitens der Bundesregierung gibt und auch ein Großteil der Bundesländer Unterstützungsmöglichkeiten für Spieleentwickler*innen anbieten, hat die japanische Regierung derzeit nichts dergleichen vorzuweisen. Größere Firmen haben diese Unterstützung nicht nötig, Japan ist anders als Deutschland für seine AAA-Blockbuster wie Final Fantasy bekannt. Aber Indies könnten von Zuschüssen profitieren.

Eine mögliche Erklärung für diese Lücke ist der mangelnde Erfolg ähnlicher Projekte wie des Cool Japan Fund, einem Förderprogramm für den kulturellen Sektor, das 2013 gestartet wurde und auch Anime und Manga umfasst. Das Programm sollte japanische Popkultur zu einem globalen Exportschlager entwickeln. Die Verwaltung und Effektivität der Fonds entpuppte sich allerdings schnell als fragwürdig. Nikkei Asia berichtet beispielsweise von fehlenden Strategien, Mismanagement und Investments in abwegige Projekte, die kaum oder keine der Ziele der Cool-Japan-Strategie erreichten.

Auf die Frage, ob Ichijo sich Unterstützung von der japanischen Regierung wünscht, reagiert er daher zurückhaltend. "Es wäre natürlich toll, Gelder zu erhalten, aber wenn die Regierung keinerlei Wissen über die jeweiligen Industrien zeigt, sollte sie es gleich lassen." Die misslungene Cool-Japan-Initiative hinterlässt also auch jetzt noch ihre Spuren in der Indie-Szene.

Entwickler*innen helfen Entwickler*innen

Die Community von asobu hingegen organisiert sich aus der Szene heraus für die Szene selbst. Obwohl bei der Gründung zunächst das Ausrichten von Veranstaltungen angedacht war, änderte sich die Arbeitsstruktur der Initiative durch die Pandemie.

Das Team von asobu übernahm verstärkt mediale Aufgaben – von Vorträgen auf internationalen Konferenzen über die Beantwortung von Interviewanfragen bis hin zu Übersetzungshilfen für Entwickler*innen. Außerdem fungieren sie als Ansprechpartner*innen, wenn Entwickler*innen selbst Game-Meetups organisieren wollen und stellen nach Möglichkeit Räumlichkeiten zur Verfügung.

Davon konnte auch Freelancer*in Nomi profitieren. Denn Entwickler*innen in Japan fehlen oft andere Ressourcen, ein Austausch in der Szene ist also wichtig. "Es ist nicht sehr profitabel, als Indie-Entwickler*in in Tokio zu leben und zu arbeiten. Aber man ist nicht Indie-Entwickler*in in Tokio, um Geld zu verdienen", sagt Nomi.

In einem beliebten Café in unmittelbarer Nähe vom Bahnhof Shinjuku, der wohl belebtesten Bahnstation der Welt, tauschen wir uns mit Nomi zwei Stunden lang über Indie-Games in Japan und Nomis Karriere aus, begleitet vom Zischen von Kaffeemaschinen für die nicht enden wollende Schlange.

Nomi arbeitet in den Bereichen der 3D-Animation, Illustration und Design und kam 2015 durch Berliner Spielefestivals wie A MAZE zur Indie-Community. Nomi ist auch heute noch für A MAZE tätig und produzierte beispielsweise 2022 3D-Animationsvideos. Durch das Aufwachsen in Japan, ein Studium im Vereinigten Königreich und Arbeit in Berlin ist Nomis Perspektive von vielen lokalen Kontexten geprägt. Bei Gamejams lernt Nomi andere Kunstschaffende und Spieleentwickler*innen kennen, mit denen Nomi auch heute noch zusammenarbeitet.