Die Welt geht unter – und wir spielen?!
Es fühlt sich so an, als würde die Welt untergehen. Überall in Europa werden Rekordtemperaturen gemessen. In Gaza verfolgt die Welt eine humanitäre Katastrophe, über den Sudan spricht schon keiner mehr. Rechtsextreme ziehen in die Parlamente ein. Achso, und in der Ukraine ist immer noch Krieg. Und wir? Beschäftigen uns mit Videospielen. Haben wir sie eigentlich noch alle? Es gibt doch so viel wichtigeres zu tun! Zum Beispiel auf die Straße gehen oder wählen oder …
Na gut, Videospiele geben uns immerhin mehr Kontrolle als die Wahl zwischen Bio-Käse und Veggie-Aufschnitt im Supermarkt, während wir hoffen, unser individueller Konsumverzicht hätte echte Auswirkungen. Niemand von uns kann oder muss allein die Welt retten, auch wenn wir das in Spielen die ganze Zeit tun. Egal ob Krieg oder Klimakatastrophe, ein Headshot in den richtigen Endboss reicht schon, um alle Probleme zu lösen.
Nora Beyer erklärt das Weltretter-Syndrom vieler Spiele in ihrem Exkurs über Ethik und Moral zum größenwahnsinnigen Fehlschluss. Einzelne bringen nicht den Weltfrieden, aber können sich im Kleinen um andere kümmern. (Männer sind beim Auch-mal-Kümmern übrigens mitgemeint.)
Manchmal muss man seine individuelle Verantwortung als Teil eines kaputten Schweinesystems konfrontieren, andererseits muss man auch seine persönlichen Mental-Health-Ressourcen schonen. Da hilft ein wenig Realitätsflucht. Eskapismus, in ein Land vor unserer Zeit – Anfang der 2000er, als die Welt noch inordnunger schien.
Das ist der Startpunkt des Roadtrip-Simulators Keep Driving, dessen Entwickler ganze neun Jahre mit sich kämpften, um aus der kleinen Idee ein fertiges Spiel zu machen. Erik Körner hat mit ihnen darüber gesprochen, wie sie auch die Talfahrten auf ihrer Reise überstanden haben.
Einen Ratschlag für's echte Leben geben sie uns im Gespräch mit auf den Weg: Es ist nie zu spät für ein Abenteuer, und – im Sinne der Care-Ethik des Kleinen – muss das auch nicht gleich die Erdumrundung in 58 Tagen sein. Es reiche schon, einfach mal einen anderen Weg zum Eiscafé zu nehmen.
Auf den Weg hat sich unsere Japan-Korrespondentin Anh-Thu Nguyen gemacht. Zufälligerweise am anderen Ende der Erde, zumindest von Deutschland aus gesehen. Mitgebracht hat sie eine Reportage über ihre Eindrücke aus japanischen Gaming-Cafés. Und die Erkenntnis, dass das Schweinesystem selbst unser Gemeinschaftsgefühl noch kommerzialisiert.
Gemeinschaft erleben, etwas neues lernen, das sind nicht nur Gründe für das Spielen, sondern auch dafür, Spiele zu machen. Guido Schmidt arbeitet seit Jahrzehnten in der Branche, bei Firmen wie Remedy und Paradox. In einem Auszug aus seinem nächsten Buch "Why We Make Games" versucht er, die Motivationen hinter der Spieleentwicklung auf den Punkt zu bringen.
Die Themen dieser Ausgabe sind nicht ohne: Ethik, Burnout, Kommerzialisierung. Da beantwortet sich die Frage, warum wir spielen, während die Welt untergeht, von allein. Deshalb spielen wir natürlich auch und teilen ein paar Empfehlungen aus der Redaktion mit euch.
Zwischen Nostalgie für Retro-Roadtrips und der Rückkehr von Donkey Kong blicken auch wir selbst zurück. Debuff hieß die letzten vier Jahre noch Superlevel. Unser Archiv aus dieser Zeit steckt voller Artikel, die zeitlos lesenswert sind. Zwei davon möchten wir euch besonders ans Herz legen. Autor Lennart Mühlenmeier hat 2024 aufgeschrieben, wie Videospiele im Strafvollzug eingesetzt werden – und woran es dabei hapert. Und aus Gesprächen mit dutzenden queeren Spieleentwickler*innen habe ich vor einigen Jahren versucht, die Vielfalt ihrer eigenen Motivationen zum Spieleentwickeln aufzuschreiben.
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